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Überall
ist Wunderland
Reges Wochenendtreiben im betonumschlossenen Innenhof des Einkaufszentrums Krozingerstraße: Spielende Kinder, babylonische Sprachvielfalt, aus einer der Kneipen ein lautstark kommentiertes Fußballspiel - Frühling und Döner liegen in der Luft. Um einen pinkfarbenen Regenschirm drängt sich derweil buntgemischtes Volk: Die Aktionsgruppe „luftgeschäfte – Kunst im Freien“ lädt zum Spaziergang durch das Quartier – und bittet die rund sechzig Teilnehmer um erhöhte Aufmerksamkeit: „Trauen Sie sich zu schauen und bedenken Sie: Alles ist inszeniert. Sie bewegen sich auf einer riesigen Bühne“. Mit diesen geheimnisvollen Worten windet man sich im Pulk eine Betonrampe empor und lässt schon mal die Sinne schweifen. Ab hier verwischen sich die haarfeinen Grenzen zwischen Kunst und Alltag, finden immer wieder zu einer faszinierenden Osmose – und damit zu dieser Wachheit, die nur durch Irritation, durch den Schritt aus der Alltäglichkeit zu finden ist. Während die Szene von einer Schar eindrucksvoller Plastikraben auf den umliegenden Dächern beobachtet wird, tönt aus der Tiefe des Parkhauses vielstimmiges Schafsgemähe. Aber der glänzende Chevrolet am Straßenrand, der eben rasant einfahrende Notarztwagen – echt oder organisiert? Beim Überqueren des begrünten Hofes sind alle schon ganz Ohr und Auge: Forschend streift der Blick an schwindelerregenden Balkonfassaden der Hochhäuser auf der Suche nach Zeichen entlang. Während zwei Frauen auf Inliners am Wegesrand mit Einkaufswägen herum kaspern, kreuzen Einwohner mit ihren ratternden Wägen immer wieder geschäftig die Sehachse. Überhaupt setzt dieser Spaziergang auf leise Akzente, auf Zufälle und die Poesie des Augenblicks. „Ich war gestern schon dabei“; sagt ein ältere Herr und erzählt von einer Gruppe Musliminnen und ihrer Kinder bei so malerischem Picknick, dass selbst ihm als Weingartner Zweifel an deren „Echtheit“ kamen. Wenig später klingelt man im achten Stock der Krozingerstrasse 78. Ein freundliche Frau mit Schürze öffnet, die allerdings seelenruhig ihre Wohnzimmerfenster weiterputzt, während die Besucher zu einem poetischen Text von Georges Perec mittels Ferngläser den Blick in die Weite schweifen lassen. Als die Gastgeberin dann plötzlich ihren Staubsauger anstellt, sieht man sich jäh aus allen philosophischen Betrachtungen gerissen.
Badische Zeitung vom 05.04.2005
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